psa22
NACHHALL
Eilt die Sonne nieder zu dem Abend,
Löscht das kühle Blau in Purpurgluten,
Dämmrungsruhe trinken alle Gipfel.
Jauchzt die Flut hernieder silberschäumend,
Wallt gelassen nach verbrauster Jugend,
Wiegt der Sterne Bild im Wogenspiegel.
Hängt der Adler, ruhend hoch in Lüften,
Unbeweglich wie in tiefem Schlummer;
Regt kein Zweig sich, schweigen alle Winde.
Lächelnd mühelos in Götterrhythmen,
Wie den Nebel Himmelsglanz durchschreitet,
Schreitet Helios schwebend über Fluren.
Feucht vom Zaubertau der heil‘gen Lippen
Strömt sein Lied den Geist von allen Geistern
Strömt die Kraft von allen Kräften nieder
In der Zeiten Schicksalsmelodien,
Die harmonisch ineinander spielen
Wie in Blumen hell und dunkle Farben.
Und verjüngter Weisheit frische Gipfel,
Hebt er aus dem Chaos alter Lügen
Aufwärts zu dem Geist der Ideale.
Wiegt dann sanft die Blumen an dem Ufer,
Die sein Lied von süßem Schlummer weckte,
Wieder durch ein süßes Lied in Schlummer.
Hätt ich nicht gesehen und gestaunet,
Hätt ich nicht dem Göttlichen gelauschet,
Und ich säh den heil‘gen Glanz der Blumen,
Säh des frühen Morgens Lebensfülle,
Die Natur wie neugeboren atmet,
Wüßt ich doch, es ist kein Traum gewesen.
1785 wurde Bettina Brentano in Frankfurt/M. geboren. Nach dem Tod der Mutter (1793) und des Vaters (1797) zog Bettine zu ihrer Großmutter, der Schriftstellerin Sophie von La Roche, nach Offenbach, wo sie Gelehrten, Schriftstellerinnen und Künstlern, deutschen Jakobinern, französischen Emigrantinnen begegnete.
1811 heiratet Bettine Achim von Arnim. Sieben Kinder kommen zur Welt, über deren Erziehung das Paar ebenso streitet wie über Geld und den Wohnsitz – ihn zieht es auf das Familiengut Wiepersdorf, sie bevorzugt die preußische Hauptstadt.
1831 stirbt Achim von Arnim. Bettine beginnt ihr »drittes Leben« (Christa Wolf). In dreizehn Jahren entstehen fünf Bücher. In ihrer Wohnung in Berlin treffen sich Caroline und Dorothea Schlegel, die Brüder Grimm, Alexander von Humboldt, das Ehepaar Varnhagen von Ense. »Ich bin sehr glücklich, gibt es etwas Beseligenderes, als aus der Einfalt der früher gelebten Jahre wie aus dem Zentrum der Glut in neu geweckte Flammen aufzuschlagen«, schreibt sie 1835 an Fürst Pückler.
Zunächst wird sie bekannt durch ihre Briefromane Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835), Die Günderrode (1839) und Clemens Brentanos Frühlingskranz (1844).
Später schreibt sie und engagiert sich, sie setzt sich ein für die schlesischen Weber („Armenbuch“, 1844), für die Rehabilitierung der Brüder Grimm am preußischen Hof und für die Begnadigung des zum Tode verurteilten Demokraten Gottfried Kinkel. Strenge Zensur und ein unbarmherziger Sicherheitsapparat ersticken jede freie literarische Äußerung in Deutschland. Dank ihrer Berühmtheit und mit bewusst inszenierter Naivität, gelingt es Bettina von Arnim immer wieder, Kritik an diesen Verhältnissen in ihre Bücher zu schmuggeln („Dies Buch gehört dem König“, 1845). Sie wird Anhängerin der Jungdeutschen, Zielscheibe der Zensur und gründet schließlich ihren eigenen Verlag, die Arnimsche Verlagsexpedition, denn »nur in der Freiheit, in dem Fürsichbestehen gefällt mir das Leben«.
Am 20. Januar 1859 stirbt sie in Berlin.