NACHHALL

Die unmögliche Tatsache

von Christian Morgenstern

 

 

 

Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.

„Wie war“ (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
„möglich, wie dies Unglück, ja –:
daß es überhaupt geschah?

Ist die Staatskunst anzuklagen
in bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?

Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, – kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht –?“

Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!

Und er kommt zu dem Ergebnis:
„Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil“, so schließt er messerscharf,
„nicht sein kann, was nicht sein darf.“

 

PDF (psa23) herunterladen


Christian Morgenstern

 

Christian

Morgenstern

Morgenstern ging nach dem frühen Tod der Mutter gemeinsam mit seinem Vater nach Breslau, wo er bereits im Alter von 16 Jahren ein Trauerspiel verfasste und sich mit Schopenhauer auseinandersetzte. 1894 zog er nach Berlin, ein Jahr später erschien sein erstes Buch, der Gedichtband „In Phanta’s Schloss“. 1897 unterzeichnete Morgenstern einen Vertrag mit dem S. Fischer Verlag zur Übersetzung von Ibsens Werken, obwohl er erst 1898/99 mehrmals nach Norwegen reiste, die Sprache erlernte und auch Ibsen selbst mehrfach traf. Kuraufenthalte in Davos und Arosa wechselten sich mit Reisen durch die Schweiz, Italien und Deutschland ab, 1905 erschienen seine „Galgenlieder“, das bis heute bekannteste Buch des Dichters. Morgenstern beschäftigte sich mit der russischen Literatur, insbesondere Dostojewski und Tolstoi, eine enge Freundschaft verband ihn mit Rudolf Steiner und er wurde Mitglied der „Anthroposophischen Gesellschaft“. Er starb 1914 in Meran.

Zu seinen weiteren bekannten Büchern gehören Palmström (1910), der Gedichtband Einkehr, die Sammlung von Sonetten Ich und Du (1911) sowie Wir fanden einen Pfad. Neue Gedichte. München 1914.