Liebe Leserin, lieber Leser,
heute am 1. Todestags meines Vaters schreibe ich ein etwas längeres Editorial. Zwei Dinge habe ich von meinem Vater gelernt oder übernommen. Gelernt nicht in dem Sinn, dass er es mir gelehrt hat. Er war Lehrer und Theologe, doch hat er dies nie als Mission verstanden, sondern ihm war die persönliche Freiheit jedes Menschen wichtiger. Wenn ich also etwas gelernt habe, dann, weil ich es bei ihm als authentisch erlebt habe. Und dann vielleicht irgendwann selbst als sinnvoll begriffen habe.
Das eine war seine Liebe zu Büchern und ZEIT(ungen). Er hat immer gelesen. Er hat viel gelesen. Er hat sich interessiert – und gleichzeitig hat er alles in Frage gestellt, kritisiert, das Gegenteil behauptet und maßlos übertrieben. Ich konnte mit ihm ewig diskutieren, er hatte immer noch eine andere Meinung parat. Das sind die beiden Dinge: Information als Nahrung für den Geist. Er hat gelesen, nicht als Selbstzweck, sondern zur Weiterentwicklung.
Bestimmt habe ich noch mehr gelernt und geerbt, aber darum soll es in diesem Editorial nicht gehen. Wir bleiben bei den zwei Dingen: Bücher und Kritik. Wobei beide für ein Universum stehen: mit dem Buchdruck begann die mediale und digitale Revolution, das Informationszeitalter. Kritik war eigentlich Theologie, allgemeiner gesprochen Philosophie – oder mit noch anderen Worten Liebe. Nächstenliebe ist nur möglich, wenn man sich selbst lieben kann und z. B. von Gott geliebt weiß. Nur dann ist Kritik aushaltbar und sagbar. Sie zielt nicht auf die Selbstzerstörung oder Vernichtung der Welt, sondern sie dient deren Erhalt.
In diesem Nachhall dreht sich fast alles um Bücher. Ich will Ihnen ganz besondere Bücher vorstellen und als Sommerlektüre wärmstens empfehlen. Bitte verstehen Sie das nicht im Sinne von Werbung oder Lehre. Nein, ganz im Gegenteil. Diese Bücher können Ihr Weltbild ankratzen und sind somit als „gefährlich“ einzuordnen. Hinterfragen Sie alles und freuen Sie sich auf neue Erkenntnisse.
Erlauben Sie mir an dieser Stellen einen kurzen Einschub und Exkurs.
Auf der Suche nach einer solidarischen Verlagsgemeinschaft lernte ich zuerst Jonas und über ihn dann Andrea kennen. Jonas schickte mir eines seiner Bilderbücher, das mir seither nicht aus dem Kopf geht – und das mich an meinen Vater erinnert. Daher wünschte ich mir ein Bild aus dem Buch als Titelbild für diesen Nachhall. Ein Junge hält eine Pflanze hoch. Mein Vater liebte Pflanzen, Blumen, die Natur. Er wollte sie immer beschützen. Insofern war er ein echter 68er und Grüner. Etwas, das auch ich mir irgendwie wünschte, das mir aber meist misslang oder zumindest hoffnungslos erschien. Mein Vater gab keine Pflanze verloren, er pflegte die hoffnungslosesten Fälle und konnte keinen Weihnachtsstern im Frühling wegwerfen, auch wenn er jämmerlich aussah.
Sowenig wie ich das Verhalten meines Vaters verstehe, sowenig verstehe ich dieses Bilderbuch. Aber beide begeistern mich, berühren mich – und können im Weiterdenken und Hinterfragen zu neuen Erkenntnissen führen. Ob und wie es gelingen kann, dass VerlegerInnen solidarisch zusammenarbeiten, sich helfen, ergänzen und auch die Kraft aufbringen können, verdorrte Blümchen zu gießen? Ist es möglich zu lieben, ohne sich selbst geliebt zu wissen?
Kommen wir zurück zu den Sommerlektüren, die Ihnen der Nachhall auf den folgenden Seiten präsentiert. Da gibt es eine Geschichte von Schildkröten. Jede Schildkröte steht auf dem Panzer einer noch größeren Schildkröte, bis ganz nach unten. Wir haben uns von diesem ganz unten soweit entfernt, dass wir es einfach nicht mehr rational verstehen können. Es gibt von allem zu viel! Zu viel Bücher, zu viel Wissen und Meinung, und zu wenig Glaube, Liebe und Hoffnung.
Ich bin fest überzeugt, dass die Demokratie die beste aller Gesellschaftsordnungen darstellt, ich glaube es, aber kann ich es wissen? Und kann Demokratie ohne Gottesfurcht, Christentum und Humanismus überhaupt funktionieren? Deshalb drucke ich auch zwei Kapitel aus einem Buch, das sich mit einer „neuen“ Demokratie für Deutschland beschäftigt und an unserem Verständnis von Demokratie rüttelt. Bitte verstehen Sie diese Kritik nicht als demokratiefeindlich, sondern begegnen Sie ihr mit Liebe.
Die vierte Buchempfehlung (siehe auch https://nachhall.net/empfehlungen) kommt direkt aus dem Herzen des Nachhall. Uta hat mich fast von Anfang an begleitet und ehrenamtlich als Redakteurin zugearbeitet. Genauso wie Sven, Götz, Frank, Michael und Barbara fragte sie nie nach dem eigenen Nutzen, sondern wollte mithelfen, vielfältige Meinungen ohne Ansehen der Person wahrnehmen zu können. Schon einige Male habe ich im Editorial versucht auszudrücken, dass ich dieses Journalismus-Projekt immer mehr als ein Kunstprojekt sehe. So passen diesmal Utas Schlußworte besonders gut und laden alle ein den NACHHALL weiter zu tragen.
Wenn wir in der Kunst die Dominanz der Form aufbrechen, dann kommen wir wieder in Verbindung mit dem schöpferischen, intuitiven Fluss, der in jedem von uns fließt, wenn er sich auf dieser Erde inkarniert und der uns verbindet mit dem, was uns zu 85% ausmacht: Seele, Geist, Bewusstsein. Und den Weg der inneren Stimme zu gehen, ohne nach dem Zeitgeist oder nach Anerkennung zu schielen, auf diese Weise entsteht Kunst, die mich berührt. Auf diese Weise können „Soziale Plastiken“ lebendig werden.
Sommerliche Temperaturen (Sonne), erfrischendes Wasser (Regen) und Teilhabe am Strom des Lebens (Schweiß) wünscht
Paul Andersson, Herausgeber
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Papier: GMUND no color no bleach, JUPP crääm
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