Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist wirklich kalt und scheußlich geworden – so dachte ich heute Morgen auf dem Rad, mich durch den Münchner Berufsverkehr kämpfend. Blick nach unten: alles grau, nass und trostlos. Und dann schoss mir ein Kalenderspruch durch den Kopf, den ich gestern gelesen hatte:
„Wenn du den Regenbogen willst, musst du dich mit dem Regen abfinden!“ – aus Hawaii
Diese Worte haben mich zu einer Bildbetrachtung inspiriert, die ich gerne mit Ihnen teile. Mit Bildbetrachtung ist hier eigentlich eine Logo-Betrachtung gemeint. Im letzten Jahr hatte ich das Logo des Verlags um den Slogan „Bücher wie Glück“ erweitert und diesen Claim wie einen umgekehrten Regenbogen unter das Logo gesetzt. Vielleicht kam mir heute beim Fahrradfahren im Münchner Regen die Erklärung dafür.
Glück erscheint wie ein Regenbogen, wenn die Sonne durch die Wolken bricht und das schlechte Wetter vertreibt; wenn wir voller Hoffnung sind und dankbar für das Leben, auch wenn es uns immer wieder Gegenwind, Kälte und Regen bringt. Der Regen hat ja nur für uns in der sogenannten zivilisierten Welt einen schlechten Ruf. Die Brille oder die Windschutzscheibe sind voller Tropfen, sodass der klare Blick auf den Verkehr verloren geht. Die Kleidung und die Strümpfe sind regenfeucht und unangenehm im Büroalltag. In der Natur dagegen wird der Regen herzlich willkommen geheißen und freudig aufgesogen – zusammen mit der Kraft der Sonne schenkt er Leben.
Dennoch blicken wir oft nur griesgrämig auf die Wetter-App, lassen uns unsere Pläne von Regenwahrscheinlichkeiten durchkreuzen, schimpfen über den Klimawandel und träumen von fernen Urlauben in der Sonne.
Im übertragenen Sinn sind all diese lästigen und unangenehmen Regentropfen, ob real oder nur vorhergesagt, wie die Worte in den Büchern des Massel-Verlags. Meist wollen wir sie nicht lesen – „Bücher wie Glück“? Viele Titel handeln doch vom Gegenteil. Schreiben die meisten Autoren nicht eher über die dunkleren Seiten? Sollte ich nicht besser überall Sonnenschein und Regenbögen auf die Cover drucken?
Nein. Mein Verlag will die Regentropfen auffangen – in einer offenen Hand. Sie fallen in den umgekehrten Regenbogen und werden zum Glück verwandelt. Massel ohne Schlamassel gibt es nicht.
Vorgestern hatte mein Jüngster Fußballtraining und wollte natürlich aufgrund des Regens und der Kälte nicht hingehen. Videospielen im Warmen und Trockenen ist natürlich viel verlockender. Ich konnte ihn gut verstehen, war ja auch gerade erst aus der Arbeit regenfeucht und unterkühlt heimgeradelt. Scheißwetter!
Jetzt sah ich mich in der Rolle des strengen Vaters, der den quengeligen Nachwuchs motivieren musste, wieder hinauszugehen und sich 90 Minuten den widrigen Bedingungen auszusetzen. Ist das schon Körperverletzung? Nötigung war es allemal. Ich versuchte es mit Engelszungen: „Dein Team braucht dich, damit sie gut spielen können. Du bist doch so was wie ein Kapitän für die Mannschaft, der vorausgehen muss und die Ansagen macht. Ohne dich laufen die doch wie ein ungeordneter Hühnerhaufen umher.“ Mein Sohn ließ sich locken. Ausnahmsweise durfte es auch eine lange Hose und eine Regenjacke sein. Dann wieder gemeinsam durch den Münchner Regen und Feierabendverkehr.
Am Fußballplatz war die Stimmung okay, es waren genug Jungs gekommen, und der Trainer ließ sich das schlechte Wetter nicht anmerken. Ein Junge meinte sogar, der Rasen sei ja ganz trocken – was so viel bedeutete wie: Man sieht ja keine Pfützen.
Ich radelte schnell wieder heim. So weit ging meine Vater- und Fußballliebe dann doch nicht, dass ich dieses trostlose Gekicke mit ansehen wollte. Und dann ging der Regen erst richtig los. Gnadenlos. Ich saß im warmen Wohnzimmer und betete still.
Als ich 90 Minuten später meinen Filius abholte, stand ein Regenbogen über dem Fußballplatz. Natürlich nur bildlich gesprochen, ich sah ihn in Gedanken. Die Kinder strahlten diesen Regenbogen aus. Sie waren glücklich! Sie hatten den widrigen äußeren Einflüssen widerstanden. Sich als Mannschaft in Gemeinschaft zusammengefunden. Sie konnten ihre überschüssige Energie im Kampf mit der Natur und dem Ball herauslassen. Die zehn nassen und kalten Jungs im Regen hatten eine Erfahrung gemacht, die sie hoffentlich im Herzen bewahren.
Wir Erwachsenen sehen uns nicht nur dem Regen ausgesetzt, nein, im übertragenen Sinn rieseln täglich vermeintlich schlechte Nachrichten auf uns herein. Da ist es nur natürlich, sich zurückziehen zu wollen, sich dem nicht auszusetzen. Aber hilft das der Mannschaft, stärkt das die Demokratie? Lassen Sie uns hingehen und gemeinsam spielen! Und auf Regen, Kälte und Gegenwind pfeifen wir ;-) Ich sehe den Regenbogen.
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