Freiheit

demokratie

Fragestellung

 

 

Eigentlich
wollte ich mich an meinem Lebensabend nicht mehr einmischen.

Eigentlich
wollte ich mich nicht mehr ärgern über den Umgang mit deutscher jüngerer Geschichte.

Eigentlich
habe ich die Vermutung, ich steche eh nicht in ein Wespennest und doch tue ich es mit diesem Artikel bewusst und (er)hoffe einfach nur Nachdenken, mit einem gewissen Nachhall …

 

Warum greife ich zur Tastatur, die für das Schreiben schöner Geschichten eigentlich vorbehalten ist?

Ja, warum eigentlich?

Mich bewegt einfach unangenehm das ständige Einmischen des deutschen Staates in die Demokratieforderungen an andere Länder dieser Welt, an die Wunderwaffe, die Allheilwohl zu versprechen scheint, und die sich „Freiheit und Demokratie“ nennt, ohne konkret zu (hinter)fragen, was dies Wohl tagtäglich für jeden so bedeuten mag?

Ich bin aufgewachsen und somit sozialisiert in einem Land, in welchem versucht wurde, Demokratie anzubieten und zu leben, ein Land, das sich DDR nannte, Deutsche Demokratische Republik und die doch eher in der realen Praxis DSR, Deutsche Soziale Republik sich hätte nennen sollen, denn die Chancen für eine echte Volksdemokratie wurden – (un)dank leninscher Auffassung: „Die Partei hat immer recht“ – leider zu früh verspielt.

Was meine ich damit?

Die Gründung der Volkskammer als ersten Neulandschritt war eine gute Idee, welche indes Schritt für Schritt in der Praxis leider scheiterte.

Was aber war eigentlich die tragende Idee dahinter?

Alle Schichten, Geschlechter und Altersklassen sollten und konnten durch Parteien und Organisationen vertreten werden, so die nüchterne Analyse.

Wer Jugendlicher war:
dafür gab es die FDJ, die Freie Deutsche Jugend.

Wer Frau war:
dafür gab es den DFD, den Deutschen Frauenbund Deutschlands.

Wer sich für Kultur interessierte:
dafür saß der KB, der Kulturbund, in der Volksvertretung.

Wer altersgemäß vertreten werden wollte:
dafür gab es die VS, die Volkssolidaität.

Wer sich gewerkschaftlich interessierte:
dafür war der FDGB, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund genau richtig.

Wer sich für Sport engagierte:
fand seine politische Heimat im DTSB, dem Deutschen Turn- und Sportbund.

Wer Bauer oder in der Landwirtschaft tätig war:
hatte die DBD, die Deutsche Bauernpartei, als Interessenvertreter.

Wer christlich war:
dafür gab es die CDU, die Christlich Demokratische Union.

Wer liberal in seinen Wertevorstellungen blieb:
diese vertrat die LDPD, die Liberal Demokratische Partei Deutschlands.

Wer sich mit der faschistischen Aufarbeitung befaßte:
wählte die NDPD, die National Demokratische Partei Deutschlands.

Und wer mit der marxschen Utopie von einem Sozialismus träumte:
für den gab es die SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands.

Dass Schritt für Schritt die Parteizugehörigkeit zur SED im Machtapparat aller Ebenen eine zunehmende Rolle spielte, ja, nahezu Voraussetzung wurde, war der ideologische Untergang für all jene, die an einen Sozialismus im Herzen glaubten – in denen der Wert „Geld“ keine dominierende Rolle spielte – und die nicht das Parteibuch „mit Karrierehintergedanken“ beantragten.

Dass Demokratie indes – für mich einfach bis heute unverständlich – dominant durch die SED „bestimmt“ wurde, durchzog nach und nach alle vertretenen Parteien und Organisationen und führte zu dieser Art Zentralismus, der Vielfältigkeit je nach Persönlichkeit des Sagenden unterband, erschwerte oder unterbinden mußte, im Stillen aber auf die Dauer nicht konnte, wie die Praxis erwies.

Soweit, so gut.

Was hat dies aber mit heutiger Demokratie zu tun?

Heute heißt Demokratie: einfach mitreden zu dürfen/wollen/können/müssen, ob man/frau über Wissen verfüget, oder nicht.

Was meine ich damit?

Demokratie, d.h. Mitsprache, hat für mich Grenzen, Demokratie kann nicht Allgemeingut für alle Bereiche unseres Lebens sein, so meine Auffassung.

Denn wem würde es gefallen, wenn neben einem erfahrenen Chirurgen ein Laie steht und ihn auffordert, die Operation doch nach seinem Verständnis durchzuführen? Immerhin geht es um seinen Opa, der da auf dem OP-Tisch liegt und Demokratie ist bekanntlich allgemeines Volksgut …

Wie würde es eigentlich dem Lokführer ergehen, wenn auf demokratischer Basis – d.h. auch mitunter nur mehrheitlich – die Menschen entscheiden, am Bahnübergang solle das Auto Vorfahrt haben, der Zug muss warten, denn immerhin sind mehr Autos tagtäglich unterwegs als Züge, die diese Schranke passieren.Die Umsetzung, so absurd sie auch sein mag, interessiert bei dieser Forderung erst einmal nicht.

Ich könnte Beispiele fortsetzen, in Unmengen.

Was aber meine ich?

Ich denke, zur Demokratieausübung gehört ein Wissen über das, was man demokratisch – also im Sinne der Allgemeinheit, der Volksherrschaft – bereit ist, umsetzen zu wollen oder zu können oder eben nicht. Ein Schelm, wer gerade den Gedanken an die zurückgetretene Verteidigungsministerin hatte.

Aber auch das Geschick, die Gabe, mit Emphatie führen zu können, sollte bei der Besetzung von Posten einhergehen mit gesamtgesellschaftlicher Verantwortung für das, was man tut. Fachwissen allein (auch ein Professorentitel) macht noch keine großen Politikwendungen, -umsetzungen oder -ideen. Denken Sie da gerade auch an einen Minister mit unermeßlichen Öffentlichkeitsdrang?

Bei all diesen Diskussionen geht die Bundesrepublik auf Demokratietourismus in die Welt hinaus; könnten wir nicht mal vor unserer eigenen Tür kehren?
Auch wenn ich jetzt nostalgisch zu werden scheine, eine gewisse Vorliebe für das Modell „Volkskammer“ habe ich schon, denn wer sitzt heute im Bundestag und vertritt alle Menschen gleichauf?

Wer vertritt eigentlich Wünsche und Ideen, die zukunftsrelavant und weitsichtig sind und nicht getragen werden von den momentanen Anforderungen und/oder dem Allheilmittel Profit ?

Wer legt eigentlich fest, was systemrelevant ist und nicht vom Staat aus der Hand gegeben werden sollte? Da geht es mir nicht um das sozialistische Modell Volkseigentum.

Es fängt im „Kleinen“ an.

Hat jemand schon die Postgebühren über einen Zeitraum von zehn Jahren mal verglichen? Nur ein Minibeispiel.

Und was ist mit dem Wohnungsmarkt?

Für mich war – als ehemalige Kreisarchitektin – die Lösung der Wohnungsfrage als soziale Frage bis 1990 unter der Prämisse „Jedem eine Wohnung – sicher, warm, trocken und bezahlbar“ eine kulturell historisch höchst anspruchsvolle Aufgabenstellung. Und heute? Die Forderung nach sozialen Wohnungsbau scheitert an ganz normalen kapitalistischen Regularien, dem Privateigentum und dem dominanten Gewinndenken …

 

Eigentlich
wollte ich mich nicht beteiligen an diesem alltäglichen politischen Wahnsinn.

Eigentlich
gäbe es noch so viel zu sagen, was eigentlich „Leben“ und „Zusammenleben“ auf diesem schönen Planeten bedeuten könnte.

Eigentlich.

 

Erstveröffentlichung im NACHHALL Nr. 30 https://nachhall.net/fdf02