Nr. 44

NACHHALL

vom 11.07.2024

 

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

dem Fußball ist es alle paar Jahre zu verdanken, dass Deutschland über National-Stolz nachdenkt. So auch ich. Wer zeigt die Deutschlandfahne, malt sich die Farben ins Gesicht und singt voller Inbrunst die Nationalhymne? Stolze Deutsche oder verrückte Fußball-Fans. Die Angst vor einem Rechtsruck, gerade jetzt nach der Europawahl, scheint zu verhindern, dass in Deutschland ein Sommermärchen zündet.

In unserem ersten NACHHALL-Gespräch kamen wir auch auf den „Stolz“ zu sprechen. Ist Scholz ein stolzer Deutscher? Leuchtet die Ampel schwarz-rot-gold? Warum fremdle ich als Deutscher mit meinem Land? Und kann oder darf überhaupt jemand auf sein Land stolz sein?

Eine Freundin, sagte sinngemäß, dass man nur auf etwas stolz sein könne, das man selbst erreicht habe. Da fallen mir meine Kinder ein. Darf ich stolz auf sie sein? Unverdientermaßen? Oder bin ich überheblich und lobe mich damit indirekt selbst: „Seht her, meine stolzen Nachkommen!“

Aufgrund der deutschen Geschichte und den Schrecken des Nationalsozialismus hatte ich immer meine Probleme mit dem Deutschsein. Ich schämte mich meiner hellen Haut, der blonden Haare und hasste meinen Seitenscheitel. Jeder Filmausschnitt mit begeisterter Hitler-Jugend schnitt mir ins Herz, sah ich nicht nur genauso aus wie diese Teufel – ich war wie sie Deutscher.
Nein, dieses Land kann ich nicht lieben! Erst im Rückblick und dem Erleben anderer Länder und Kulturen kann ich gewisse Teile schätzen lernen. Deutschland hat seine Vorzüge und Schattenseiten. Genauso verhält es sich aber mit allen anderen Ländern, mit anderen Personen und auch mit mir selbst. Keiner will auf seine Fehler reduziert werden. Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Ich glaube an die positive Kraft der Gedanken – an einen Gott, der aus unseren Unzulänglichkeiten etwas Heilsames schaffen wird: aus dem Chaos Ordnung, aus Feinden Freunde, aus der Hölle ein Paradies.

Ja, heute bin ich stolz, Deutscher zu sein. Genauso kann ich stolzer Katholik sein und mich klar von sexuellem und seelischem Missbrauch distanzieren, die Kirchensteuer ablehnen und den Papst kritisieren. Es geht mir um Identität und Tradition, Zugehörigkeit und Beständigkeit. Gerade in unserer Zeit scheint es umso wichtiger als Gegengewicht zu Schnelllebigkeit und Vereinsamung. Jeder muss sein Maß und seine Mitte selbst finden. Dabei ist der Stolz nicht hinderlich, vielleicht sogar notwendig.

Vielleicht ist es Zeit, das Land mit fremden Augen zu sehen und sich an seinem Reichtum zu freuen. Das gute Brot zu schmecken, Wein und Bier zu genießen, die Schönheit der Landschaft zu erwandern. Auch in der deutschen Geschichte finden sich Vorbilder, Dichtung und Musik, wissenschaftliche Erkenntnisse und Ingenieurskunst, die auf der ganzen Welt bewundert werden.

Dummerweise ist Deutschland jetzt im Viertelfinale gegen Spanien ausgeschieden. Jetzt wäre ich bereit gewesen, mich auch zu schminken – theoretisch jedenfalls;-)

Es wünscht euch ein europäisches Sommermärchen
Euer
Paul Andersson, Herausgeber

 


 

Impressum

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Redaktion (V.i.S.d.P.): Paul Andersson – redaktion@nachhall.net

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Papier: GMUND no color no bleach, JUPP crääm

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